Sind Sie an Weisungen gebunden?

Der „falsche“ Selbständige auf dem Prüfstand

 

 

Ob Reinigungs- oder Schreibkraft, Journalist oder Geschäftsführer, nicht selten legt der Arbeitgeber dem Stellenbewerber nahe, die Arbeit anstelle eines üblichen Arbeits- bzw. Anstellungsvertrags auf „selbständiger“ Basis auszuführen. Die Absicht liegt auf der Hand. Er spart viel Geld. So für den in Belgien besonders hoch ausfallenden  Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung von rund 32% vom Bruttolohn für Angestellte bzw. von 38% für Arbeiter.

 

Für den Arbeitssuchenden ist die Lage weniger ergiebig.

Zwar entfallen für ihn die für Bedienstete gewöhnlichen Abzüge vom Salär für den Arbeitnehmeranteil von rund 13 % ebenso wie für die  Lohnssteuer. In Belgien ist aber auch der Freiberufler zum Anschluss an die Sozialversicherung für Selbständige verpflichtet. Dabei hinken die Leistungen derzeit noch weit hinter denen für die Gehaltsempfänger hinterher. Da er keinen Bruttolohn hat, wird der Beitrag auf Grundlage seines Gewinns errechnet. Die Beiträge sind nicht unerheblich.

Mindestbeitrag € 687,48

bei weniger als € 12.129,76

22%

bei € 12.129,76 – € 52.378,55

14,16%

bei € 52.378,55 – € 77.189,40 

0%

über € 77.189,40  

Hinzukommt noch eine geringe Bearbeitungsgebühr, die von Kasse zu Kasse leicht schwankt.

Zur Ermittlung seines Gewinns muss er oft auf einen nicht immer billigen Buchhalter zurückgreifen. Dazu ist er Mehrwertsteuerpflichtig. Anstelle der bequemen Abzüge auf der Lohnabrechnung bekommt er jetzt quartalsweise eine Beitragsrechnung von der Sozialversicherung. Ebenso wird er vom Finanzamt zu Steuervorauszahlungen aufgefordert. Um an sein Geld zu kommen muss er  Rechnungen schreiben.

Insbesondere entgehen dem Selbständigen aber auch sämtliche sozialen Errungenschaften. Angefangen vom Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Mutterschutz, Überstundenregelung bis hin zum Urlaubsgeld, ggf. Weihnachtsgeld  und vieles mehr.
     
Wer an Weisungen gebunden ist, seine Arbeit vorgeschrieben bekommt, kontrolliert wird, klare Vorgaben zu Arbeitszeit und Arbeitsort bekommt, z.B. seine Abwesenheitszeiten rechtfertigen muss und für seine Arbeit einen festen Lohn erhält, ist Arbeitnehmer. Daran ändert weder die  Zuteilung einer Unternehmeridentifikations- bzw. Mehrwertsteuernummer etwas, noch der Anschluss an eine Sozialversicherung für Selbständige, insbesondere nicht die bloße Überschreibung des Vertrags als „Unternehmervertrag“. Auch die Heimarbeiterin, die am Bildschirm sitzt, wo eine direkte Kontrolle kaum möglich ist, bleibt Arbeitnehmerin. Eine indirekte Kontrolle so durch die automatische Aufzeichnung der Arbeitsstunden im PC genügt.

Wer dies als Auftraggeber nicht respektiert, riskiert Nachzahlungen, Verspätungs- und Strafzuschläge für die Sozialversicherung und Lohnsteuer bis zu 300 %. Dazu  ist der Arbeitgeber auch wegen Sozialbetrugs dran. Sozial- und Arbeitsrecht zählen in Belgien zum „ordre public“. Verstöße dagegen werden strafrechtlich geahndet. Für das Aufdecken solcher Fälle ist die rührige belgische Arbeitsinspektion besonders geschult.

Dabei ist durchaus möglich, dass die Putzfrau  oder Bürokraft zu Recht den Status als Selbständige inne hat, wenn immer der Wille dazu da ist. Wer das „wann“ und „wie“ seiner Dienste ohne präzise Weisungen frei organisieren kann, ist grundsätzlich „selbständig“. Dabei stört nicht, wenn Geschäftszeiten bzw. Öffnungszeiten beachtet werden müssen. Auf der sichereren Seite ist, wenn noch der Besen oder die Putzmittel vom Auftragnehmer mitgebracht werden, er für seine Vertretung so im Krankheitsfall oder während seines von ihm bestimmten Urlaubs selber sorgt und am besten gleich mehrere Auftrageber hat, die er bedient. Wer dazu noch auf gleicher Augenhöhe mit dem Auftrageber seine Konditionen verhandelt, sein Risiko, die Rentabilität seiner Leistungen, seine Investitionen und seinen Profit im Auge hat,  dem kann die Selbständigkeit schwer abgesprochen werden. Wenn die Kasse stimmt, verlieren die gerade in Belgien recht teuer bezahlten sozialen Errungenschaften zugunsten der Arbeitnehmerschaft schnell an Bedeutung. Was der Selbständige braucht, weiß er besser.

Um den Status objektiv beurteilen zu können, kann das Vorliegen eines einzelnen Kriteriums, das für oder gegen die Selbständigkeit spricht, mit Rücksicht auf die weitreichenden Folgen kaum genügen. Anhand der zahlreichen Grenzfälle, mit denen sich die Gerichte befasst haben, wird deutlich, welche Unsicherheiten dabei vorherrschen.

Daher hat der Gesetzgeber die prägenden Kriterien festgeschrieben, um diese Beurteilung zu erleichtern. Laut königlichem Beschluss, der am  7.1.2011 in Kraft getreten ist, wird eine Kammer eingerichtet, die auf Antrag z.B. einer Partei Klarheit über den Status schafft. Vor allem bietet sie die Möglichkeit, schon vor Dienstantritt an Hand des Vertrages und anderer Umstände eine Entscheidung zu treffen. Wird diese nicht per Gericht angegriffen, gilt sie während 3 Jahren.

Diese Gelegenheit sollte vor allem der Dienstherr nutzen, der vermeiden will, dass sein Dienstverpflichteter z.B. wegen einem Streit nachträglich seine Arbeitnehmerrechte einklagen will - und das bislang mit nicht wenig Erfolg.

 

Von Walter Grupp
Zuerst veröffentlicht auf Belgieninfo am 22/04/2011.