Schnellspurt zur ersten Million
Vademecum für Firmengründer in Belgien
Belgien gilt als ein bürokratisches Land. Zu Unrecht, zumindest wenn es um Firmengründungen geht. Denn nirgends in Westeuropa können Sie schneller Unternehmer werden als in dem Königreich. In einem Kraftakt hat die belgische Regierung die KMU-Charta der EU vorbildlich umgesetzt. Die erste Bilanz lässt sich sehen.
Ein Bankkonto für das Geschäft, ein Besuch eines Unternehmensschalters (guichet d’entreprise) – und schon sind Sie in Belgien ein Selbständiger. Das alles an einem Tag und für 75€. Zum Vergleich: Im Schnitt dauert in Europa die Anmeldung einer Firma immer noch acht Werktage und kostet 415€. Dabei haben die EU-Staaten 2008 versprochen, mit der KMU-Charta kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) „Vorfahrt“ zu geben und die traditionelle Bevorzugung von Großkonzernen zu beenden. Denn mit 99,8% der Unternehmen sind KMU’s das Rückgrat der europäischen Wirtschaft.
Umgesetzt hat die Charta vor allem das Land, das noch vor wenigen Jahren als Inbegriff für zeitraubende und nervtötende Bürokratie galt. Ganz freiwillig war die Kehrtwende zu unbürokratischen Lösungen allerdings nicht. Denn in Belgien sind in den vergangenen Jahren die Gründungen von Unternehmen massiv zurückgegangen und die Zahl der Konkurse hat einen traurigen Rekordstand erreicht. Nun will die Regierung mit einem 40 Maßnahmen umfassenden Katalog gegensteuern. Schon die bisher umgesetzten Initiativen haben sich wohltuend auf die mittelständischen Firmen ausgewirkt.
One-Stop-Shop für Firmengründer
Ausschlaggebend für diesen Erfolg ist die Einrichtung der Unternehmensschalter. Die Anlaufstellen für Firmengründer sind überwiegend bei den in ganz Belgien verbreiteten Sozialbüros angesiedelt. Diese sind echte One-Stop-Shops, d.h. hier können sie alles erledigen, was für Ihre Firmengründung notwendig ist. Sie sorgen zum Beispiel für die Eintragung in die Banque Carrefour, einem elektronischen Register, das die früheren Handelsregister ersetzt. Dort erhalten Sie auch die Unternehmensidentifikationsnummer (numéro d’entreprise), die Sie im Briefkopf stets angeben müssen. Diese ersetzt nicht nur die Handelsregisternummer, sondern auch die Mehrwertsteuer- und Sozialversicherungsnummer. Die Banque Carrefour soll umgekehrt ermöglichen, über jedes Unternehmen öffentliche Daten abzurufen. Damit es à jour bleibt, sollen Änderungen jederzeit online eingegeben werden können.
Belgiens Regierung will die Unternehmensschalter in einem zweiten Schritt zu Beratungsstellen für alle Fragen rund um die Selbständigkeit ausbauen. Für Jungunternehmer bieten sie schon jetzt Finanzierungsmöglichkeiten an. Wer noch nicht 30 Jahre alt und arbeitslos ist, kann sich etwa nach dem „Plan Rosetta“ erkundigen. Unter diesem Titel gibt es für junge Firmengründer zinsgünstige Darlehen und Hilfen bei ihrer Beantragung.
Aber auch in vielen anderen Fragen unterstützen die Unternehmensschalter angehende Selbständige. Für manche Berufe etwa im Handwerk ist eine Ausbildung zwingend vorgeschrieben. Die Schalter prüfen anhand der Zeugnisse, ob die Abschlüsse die belgischen Vorgaben erfüllen. In den meisten Fällen genügen aber Grundkenntnisse in Betriebsführung. Dafür qualifiziert schon ein in einem EU-Land erworbenes Abitur. Auch eine im Ausland ausgestellte Gewerbekarte kann ausreichend sein.
Als Unternehmer sozial versichert wie Angestellte
Ebenso wichtig ist die soziale Absicherung der Selbständigen. Ihre Gleichstellung mit Angestellten ist in Belgien weit fortgeschritten. Anders als in Deutschland muss jeder Firmengründer einer Sozialversicherung beitreten. Auch dafür halten die die Unternehmensschalter in der Regel Angebote bereit. Darin ist unter anderem eine Krankenversicherung enthalten. Diese springt grundsätzlich nicht nur bei großen Risiken wie Krankenhausaufenthalt und Operation ein, sondern auch bei kleinen Risiken wie Arztbesuch und Medikamente. Um eine umfassende Deckung zu erreichen, ist eine freiwillige Zusatzversicherung allerdings unverzichtbar. Auch andere Leistungen der Sozialversicherung stehen Unternehmern offen: etwa eine Altersversorgung, die selbst bei Erwerbsunfähigkeit und Invalidität zahlt, sowie eine finanzielle Unterstützung im Pflegefall. Zum Leistungskatalog gehören mittlerweile auch Kinder- und Mutterschaftsgeld. Schließlich sind Unternehmer sogar im Konkursfall weiterversichert.
Selbst seine Arbeitslosenversicherung soll ein angehender Selbständiger künftig nicht mehr verlieren. Wer seinen Job kündigt, um eine Firma zu gründen, hat weiter Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung, falls diese scheitert. Auch sollen Regelungen geschaffen werden, damit er sich schon während der Festanstellung gezielt auf die Selbstständigkeit vorbereiten kann. Gerade wenn Kündigungen anstehen, kann dies für den Arbeitgeber günstiger sein, als hohe Abfindungen zu zahlen.
Gesellschaft mit beschränkter Haftung als Steuersparmodell
Ein Ärgernis ist in Belgien immer noch die Steuerbelastung. Einzelkaufleute zahlen bis zu 54% Einkommensteuer. Angesichts der steilen Progression erreichen Unternehmer schnell den Spitzensatz. Ein Ausweg ist da die Gesellschaft mit beschränkter Haftung SPRL (Société Privée à Responsabilité Limitée). Kleine Unternehmen können dank dieser Gesellschaftsform gut ein Viertel Steuern sparen. Statt dem Normalsatz von 33,9% zahlen sie in bestimmten Grenzen nur 24,98%. Auch die Steuern auf Entnahmen lassen sich mit einer SPRL drücken. Normalerweise werden bei Dividendenausschüttungen 25% fällig – wer es geschickt anstellt, kommt mit 15% davon.
Die SPRL hat einen weiteren Vorteil, auch wenn dies Kunden und Banken nicht immer gefällt. Falls das Geschäftsmodell scheitert, muss nur das Betriebsvermögen herhalten, nicht aber das eigene Heim. Der Nachteil der Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist allerdings das hohe Mindeststammkapital von 18.550€, das selbst Gründer einer kleinen SPRL aufbringen müssen. 6.150€ müssen sie sofort bei einer Bank auf einem gesperrten Kapitalkonto hinterlegen. Dazu kommen noch 900€ Gebühren und Abgaben für Notar und Eintragung. Gerade für junge Betriebsgründer ist das kein Pappenstil.
Damit die Selbständigkeit nicht schon daran scheitert, haben Jungunternehmer seit Juni dieses Jahres die Möglichkeit, mit einem Euro einen so genannten SPRL Starter zu gründen. Erst nach einer Frist von fünf Jahren oder ab fünf Vollzeitbeschäftigten wird die Mindestkapitaleinlage fällig. Doch ganz ohne Eigenkapital wird wohl auch unter diesen Umständen niemand ein Geschäft ins Rollen bringen.
Die Gründung einer SPRL hat Belgiens Regierung ebenfalls drastisch beschleunigt. Da sie inzwischen elektronisch im Staatsanzeiger veröffentlicht wird, dauert sie nur noch drei Tage – auch dies ist in Europa Spitze. Die Notare haben ihre Gebühren für diese arbeitssparende Veröffentlichung des Gesellschaftsvertrags per é-dépot entsprechend zu reduzieren. Doch auch wenn die Gründung einer SPRL künftig geringere Kosten verursacht, sollte niemand den Mehraufwand für den Eigentümer unterschätzen. Gegenüber dem Einzelkaufmann bringt ihr Betrieb auch ohne Ertrag mehr Verwaltung und damit höhere Kosten mit sich – etwa für Buchhaltung und Jahresabschluss. Immerhin verzichtet Belgien im Fall von Neugründungen während der ersten 3 Jahre bereits auf die Gebühren für die Hinterlegung des Jahresabschlusses. Selbst in elektronischer und abgekürzter Form kostet dies derzeit fast 200€.
Staatliche Hilfestellungen für Start-ups
Da viele Neugründungen scheitern, will Belgien in Konkurs gegangenen Unternehmern künftig schneller eine zweite Chance bieten. Bislang haben die häufig Jahre dauernden Abwicklungsverfahren einen raschen Neustart verhindert. Bei nicht betrügerischer Insolvenz sollen sie auf maximal ein Jahr verkürzt werden. Da für einen Unternehmer der Nachweis, dass er von der Insolvenz gutgläubig überrascht wurde, oft sehr schwierig zu führen ist, sollen künftig schriftliche Erklärungen genügen.
Damit weniger Start-ups scheitern, plant Belgiens Regierung zudem den Einsatz von Business Angels. Erfahrene Unternehmer sollen Greenhorns beim Schritt in die Selbständigkeit mit Rat und Tat zur Seite stehen und sich bei Bedarf sogar finanziell an ihren Firmen beteiligen. Die Erfahrung zeigt, dass ihre Hilfe das Risiko, am Markt zu scheitern, erheblich verringert.
Um Menschen, die sich selbständig machen wollen, bislang abgeschottete Branchen zu öffnen, will die belgische Regierung den Zugang zu stark regulierten Bereichen und zu geschützten Berufen vereinfachen. Dazu zählt das Handwerk ebenso wie intellektuelle Dienstleister - also Ingenieure, Geometer bis hin zum Heilberuf. Andererseits sollen aber die Berufsbezeichnungen, welche Gewähr für gute Leistungen bieten sollen, stärker geschützt werden.
Um die Hürde zur Selbständigkeit weiter zu senken, beabsichtigt Belgien außerdem, die Rahmenbedingungen für Unternehmen zu verbessern. Ganz oben auf der Agenda steht dabei die Finanzierung der Unternehmen. Die Regierung will ihnen den Zugang zu Krediten erleichtern und ihre einseitige Kündigung durch die Banken erschweren. Für innovative KMU will sie Kontaktstellen für Patentanmeldungen einrichten, damit sie ihre Chancen verstärkt nutzen. Wer technische Neuerungen zum Patent anmelden will, für den soll es zudem Steuererleichterungen geben. Damit der Mittelstand seine Marken besser vor Nachahmern schützt, hat die EU bereits das Registrierungsverfahren beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt in Alicante (www.oami.europa.eu) vereinfacht und die Gebühren von 1750€ auf 1050€ gesenkt (online: 900€).
Schließlich will Belgiens Regierung den Wettbewerb um öffentliche Ausschreibungen vereinfachen. Die „Hoflieferanten“ benötigen eine besondere Zulassung, die Agréation. Dafür mussten Unternehmen bislang mühsam Referenzen und Bescheinigungen als Nachweis ihrer Leistungsfähigkeit zusammentragen. Künftig sollen diese viel mehr durch Ehrenerklärungen ersetzt werden. Ein eigens dafür geplantes Call-Center soll KMU zudem Hilfestellungen in Bieterschlachten um öffentliche Aufträge bieten. Auch werden die Behörden zu pünktlicherer Zahlung gezwungen.
Man darf gespannt sein, ob Belgiens neue Regierung den Elan ihrer Vorgängerin übernimmt und das Hilfsprogramm für Unternehmensgründer zu Ende bringt. Denn viele der angekündigten Maßnahmen zu Gunsten von KMU sind noch im Planungsstadium oder harren ihrer Umsetzung. Mit der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft zum 1. Juli könnte die Regierung zudem ihre Solidarität mit dem Mittelstand auf europäischer Ebene unter Beweis stellen. Denn noch warten 2500 EU-Rechtsakte, die Unternehmen unnötigerweise das Leben erschweren, darauf abgeschafft zu werden. Bislang hat die Brüsseler Kommission lediglich 78 noch nicht verabschiedete Vorschläge fallen gelassen. Fortschritte auf diesem Gebiet wären ganz im Sinne der KMU-Charta. Denn sie ist auch ein Plädoyer für Entbürokratisierung.
Von Walter Grupp
Zuerst veröffentlicht auf Belgieninfo am 05/07/2010.